Frankfurt,

oder?

Frankfurt,
oder?

Text
Philipp Köster
Leonie Schüler-Springorum
Fotos
Paulina Hildesheim

Zwei Benfica-Fans fahren ins falsche Frankfurt.
Oder doch nicht?
Die Geschichte einer journalistischen Irrfahrt.

Es ist schon ein paar Jahre her, da fuhr der Fahrer eines Fanbusses zum Auswärtsspiel aus Versehen ins württembergische Aalen statt ins westfälische Ahlen. Oder umgekehrt, wer weiß das schon? Jedenfalls wurde die Anekdote stets mit einem wissenden Augenzwinkern erzählt, zu phantastisch kam die Irrfahrt durch die halbe Republik daher.

Umso erstaunlicher jedoch, dass sich im April 2019 eine europäische Variante der Geschichte zutrug. Zwei Fans von Benfica Lissabon hatten sich nämlich im eigenen Auto zum Viertelfinalrückspiel in der Europa League bei Eintracht Frankfurt aufgemacht und dabei übersehen, dass es zwei Städte dieses Namens gibt. Also hatten Alvaro und Jorge die Metropole am Main so gekonnt umkurvt, als hätten sie Offenbacher Vorfahren, und waren stattdessen von Lissabon über Paris und Berlin zielsicher an die Oder gefahren.

Dort posierten sie fröhlich vorm Ortseingangsschild und fanden schließlich auch das örtliche Stadion: Von flirrender Europacup-Stimmung war aber weit und breit nichts zu spüren, was die beiden Reisenden irgendwann mächtig irritierte. Tja, doof gelaufen! Aber anders als früher, da der Busfahrer nur verzweifelt im Aral-Straßenatlas per Fingerfahndung nach dem richtigen Ahlen suchen konnte, hatten die beiden Portugiesen ihren Reiseweg immerhin ausführlich auf Instagram dokumentiert. Und so nahte alsbald Rat und Hilfe – und zwar gleich tausendfach. Nur eine halbe Stunde, nachdem die beiden Kollegen in Frankfurt gestrandet waren, wurden sie mit Nachrichten, Hilfsangeboten und Routenplänen überschüttet. Und mit Medienberichten. Hatten zunächst die notorischen Durchlauferhitzer »Spox« und »Fums« von der Irrfahrt berichtet, kamen alsbald die nationalen Qualitätsmedien um die Ecke, also Sportschau, Sky und MDR. Dann tickerte auch die Deutsche Presseagentur, die BBC, die Hauptstadtfranzosen von »Le Parisien« sowie die Amerikaner von Sports Illustrated und Fox die Geschichte von den beiden verstrahlten Portugiesen einmal um die ganze Welt.

Dann finnische, chilenische, rumänische, spanische, portugiesische, türkische, russische Seiten. Und schließlich wurde Alvaro sogar noch live bei DAZN in die Sendung geschaltet, durfte seine unglaubliche Geschichte erzählen und bekam vom Reporter noch einmal das richtige Stadion gezeigt. Da war Alvaro richtig gerührt. Der versöhnliche Abschluss einer unglaublichen Reise.

Zwei Tage zuvor war in der 11 Freunde-Redaktion leichte Nervosität ausgebrochen. Seit Freitag nämlich hatte Amazon stoisch unsere Bestellung von zwei Benfica-Trikots als »versandt« vermeldet, von »zugestellt« konnte aber keine Rede sein. Sollte unser unbeholfener Versuch, einmal den hektischen digitalen Newsbetrieb mit einer komplett ausgedachten Geschichte zu foppen, schon an einer solchen Petitesse scheitern? Dabei hatten wir uns schon mächtig ins Zeug gelegt. Wir hatten einen Instagram-Account für Alvaro angelegt und ihn notdürftig mit genretypischem Fotoquatsch befüllt (Motorräder, Espressotasse, Bilder von Benfica-Spielen).

Außerdem hatten wir einen räudigen Twitter-Account namens »Footy Freunde« in die Welt gerufen, der die Nachricht in die Journalistenblase tragen würde. Und wir waren endlich fündig geworden auf der Suche nach den Darstellern unseres Roadmovies. Der Schauspieler Marcelo Rodrigues aus Berlin würde für uns den Alavaro mimen, ein Bekannter der Redaktion seinen guten Kumpel Jorge. Beide der portugiesischen Sprache mächtig und mit genügend Tagesfreizeit ausgestattet, um unter der Woche mal kurz von Berlin nach Frankfurt/Oder zu juckeln, ein paar Bilder zu machen und vor dem Ortseingangsschild herumzualbern. Währenddessen wurde in der Redaktion fleißig Material fürs digitale Fahrtenbuch gesammelt. Eine Bekannte aus Paris schickte Touri-Bilder aus der französischen Hauptstadt, eine Google-Route von Lissabon nach Frankfurt/Oder wurde als Screenshot gesichert, die Musik für die große Überfahrt bei Spotify runtergeladen. Und dann ging die Reise los.

Am Mittwochmorgen, einen Tag vor dem Spiel, soll das Team nach Frankfurt fahren. Doch von den Benfica-Trikots weit und breit keine Spur. Also werden notgedrungen Trikots von Hannover 96 und dem 1. FC Nürnberg auf links gezogen, zusätzlich binden sich die beiden noch weitere rote Trikots um die Arme. Das sieht nun alles mehr nach florentinischem Karneval aus als nach einer ernsthaften Auswärtsfahrt. Doch erstaunlich: Fast niemandem wird das erbarmungswürdige Outfit der beiden auffallen.

Ebenso wenig wie manch anderer Anschlussfehler. Merkwürdig etwa, dass sich die beiden auf der nächtlichen Autofahrt durch Frankreich ausgerechnet von der Vereinshymne des Konkurrenten aus Porto beschallen lassen. Und dass das Auto, mit dem die beiden angeblich aus Lissabon durch Europa gurken, die grüne Umweltplakette deutscher Großstädte verliehen bekommen hat. Und dass auf dem Rastplatzfoto im Schaukasten des McDrive das Erfolgsformat »11 Freunde-Themenfrühstück« beworben wird. Und dass sich in der Windschutzscheibe deutlich eine Ausgabe unseres Familienmagazins spiegelt. Und dass Alvaro in den Pyrenäen den Screenshot der Reiseroute postet, laut Google-Ortsmarke aber schon kurz hinter Berlin ist. Und dass Alvaros Instagram-Account ebenso frisch bezogen aussieht wie der Twitter-Account »Footy Freunde«, dessen einziger Follower ein Porno-Bot namens »Shields Myrthe« ist.

Alles egal, geile Story, wird schon stimmen.

Am Mittwochabend, als wir Jorge und Alvaro auf ihre virtuelle Reise schicken, interessiert sich noch niemand für die beiden. Die Pyrenäen, ein abendlicher Bummel durch Paris, die Passage durch Belgien, die endlosen Weiten der A2 zwischen Herford und Garbsen, niemand weist die beiden Allesfahrer auf die verhängnisvolle Route hin. Das ändert sich erst, als sich die Qualitätstwitterer von »Footy Freunde« endlich melden und posten: »Kann denen mal einer sagen, dass sie verkehrt sind?« Einer? Die halbe Welt nimmt nun Anteil an Alvaros und Jorges Irrfahrt, neben klassischer Schadenfreude (»Lasst sie fahren!«) bekommen die beiden nun unzählige Routenpläne geschickt, alle mit dem wichtigen Hinweis »Bitte wenden!«

Die Sportschau war natürlich vorn dabei. Rezept: Mal fix das Bild von Instagram gerippt und einen flotten Spruch dazu.

Die BBC unterschlägt Kumpel Jorge.

„Voetbal flitsen“ lacht sich schlapp.

Auch Sky stört sich nicht an den Trikots der Fans

Belgische und franzö- sische Medien steigen ein. Mit gutem Recht, schließlich haben Jorge und Alvaro ihre Länder durchquert.

„7sur7“ zeigt auch den Routenplan zu Reisebeginn mit der verräterischen Orts- marke nahe Frankfurt an der Oder.

Alavaro geht um die Welt.

Und Trottelfan Alvaro wird per Screenshot-Journalismus einmal quer durchs Netz gereicht. Der direkte Kontakt mit den Portugiesen wird dabei jedoch strikt vermieden. Nur der rbb und Ex-Kollege Stephan Reich schreibt Direktnachrichten und fragt nach, ansonsten sind die Redaktionen sorgfältig bedacht, sich bloß nicht durch allzu penetrante Recherche die hübsche Story kaputtmachen lassen zu lassen. Wie blöd kann man sein, fragen viele Medien, allerdings nicht im Selbstgespräch, sondern adressiert an den armen Alvaro, der sich pflichtgemäß zerknirscht gibt.

Er kapituliert vor der schieren Menge an Hinweisen und Tipps und kann nur noch ausgewählte Nachrichten beantworten wie etwa die Anfrage von DAZN, die den Kollegen unbedingt in der abendlichen Livesendung rund ums Spiel haben wollen. Dafür fahren die beiden nun offiziell nach Berlin zurück, wo Alvaro per Facetime in die Sendung geschaltet wird. »You’re a star in Germany now« schmeichelt der Moderator, was den 11 Freunde-Redakteur, der diskret das Handy hält, spontan in Gelächter ausbrechen lässt. Ein Kontrollverlust, der auch den Moderator hätte misstrauisch machen können. Stattdessen darf Alvaro noch auf dem Sender seinen Cousin »Felipe Costa« grüßen und danach in die Berliner Nacht verschwinden.

Dass am Tag danach das Konterfei des Alvaro-Darsteller Marcelo in einer Schauspielerkartei entdeckt wird, dass den meisten Portalen die ganze Geschichte natürlich von Anfang an komisch vorkam, tja, all das hätten wir natürlich genauso verkündet, wenn wir die halbseidene Story von der Irrfahrt vermeldet hätten. Trotzdem bleibt das Erstaunen darüber, wie schnell eine solche Story um die Welt geht. Und die Frage, was wir jetzt mit den Benfica-Trikots machen, die erst am Mittwoch der Folgewoche eintrafen. Vielleicht hat Shields Myrthe ja Interesse.